Kunst ist nach einem bereits betagten Wort
Marcel Duchamps das Einzige, «was Menschen übrig
bleibt, die der Wissenschaft nicht das letzte Wort überlassen
wollen». - Wie es scheint, will die Wissenschaft
sich selbst nicht mehr das letzte Wort überlassen.
Die Volkswagenstiftung - mit einem Kapital von zwei Milliarden
Euro kein Zwerg unter den europäischen Wissenschaftsförderern
- hat aus Anlass ihres vierzigjährigen Bestehens
ein Ausstellungsprojekt finanziert, das derzeit in Hannovers
Sprengel-Museum zu sehen ist (und hernach auf Wanderschaft
gehen wird nach Karlsruhe, München, Dresden und Berlin).
Es heisst «science + fiction».
Die Ausstellung, für die fünf künstlerische
Arbeiten sowie eine («erzählende») Rahmeninstallation
realisiert worden sind, soll allerdings nicht, wie Duchamps
Diktum suggerieren könnte, den Wissenschaften ihre
Legitimität bestreiten. Sie will, andererseits, aber
auch nicht schlicht als Beitrag zur Förderung der
Akzeptanz von Forschung und Technik verstanden werden,
ebenso wenig wie als schmückendes Beiwerk: Kunst
kompensiert nicht, Kunst kommuniziert. Sie macht nicht
vergessen oder erträglich oder gar ungeschehen, was
Wissenschaft und Technik in Seelenhaushalt und Alltagsleben
der Menschen anrichten; sie nimmt - mit ihren Mitteln
- den Kontakt auf zu den Laboratorien und Konstruktionsbüros.
So zumindest haben es Stefan Iglhaut und Thomas Spring
vorgesehen, die für das Konzept der Schau verantwortlich
zeichnen. Sie sprechen, mit allerdings angestaubt wirkenden
Authentizitätsfloskeln, von dem «Experiment
einer tatsächlichen Begegnung und eines wirklichen
Dialogs zwischen Kunst und Wissenschaft».
Im konzeptionellen Hintergrund leuchten -
einem Zug der heutigen Zeit entsprechend - die Kunst-
und Wunderkammern vergangener Jahrhunderte, lockt Leibniz
mit seiner Idee eines «theatrum naturae et artis»
- eines Weltschauraums, der die «freien» und
die «mechanischen» Künste der Renaissance
(wieder) zusammenführen soll. Die Themen des Hannoveraner
Dialogs freilich sind von der Wissenschaft vorgegeben
worden; genauer gesagt, von Schwerpunkten, die die Volkswagenstiftung
in ihrer Förderungspolitik setzt: Hirnforschung,
Nanotechnologie, globale Kulturen, Wissenschaft und Öffentlichkeit.
Der «Hirnpavillon» der holländischen
Künstlergruppe Atelier van Lieshout, der von weitem
an ein Lebkuchenhäuschen erinnert, trägt auf
seiner Aussenseite Grafiken, Tabellen und Thesen der Neurowissenschaften
zur Schau; in seinem - begehbaren - Inneren verbirgt er
illustrierte Phantasien und Traumgesichte: sex and crime
und (wenig) anderes. Christoph Kellers verspiegelter Campingbus
fällt aus dem Rahmen; aber ohne das Thema Globalisierung,
für das er steht, geht heute nichts mehr. Der Bus
(Marke: Volkswagen) erweist sich als Heimkino, in dem
der temporäre Insasse, anstatt durch die Windschutzscheibe
zu schauen, sich ethnographische Filme über Schamanismus
zu Gemüte führen kann. - Innen und aussen, Fremdes
und Eigenes; nun noch science und fiction: Das Künstlerduo
M+M (Marc Weis und Martin De Mattia) konfrontiert in seiner
Videoinstallation «Gutes Morgen, Dr. Mad»
den - verrückten? entleerten? - Wissenschafter in
einer Endlosschlaufe mit seinem rundlichen und rundum
zufrieden scheinenden androgynen Geschöpf; ein melancholischer
Sog ist zwischen den beiden Guckkästen spürbar,
die durch die filmische Schlaufe verbunden sind.
Christa Sommerer und Laurent Mignonneau ist
mit «Nano-Scape» eine einnehmende Arbeit geglückt:
eine interaktive Installation, eine unsichtbare, aber
ertastbare und - durch Interferenzen - sich verändernde
Skulptur aus elektromagnetischen Rückstosskräften.
Die Sphäre des Atomaren lässt sich nicht sehen,
aber berühren. Eine Sinnlichkeit jenseits des Visuellen
taucht auf, die zugleich eine übersinnliche Anmutungsqualität
hat. Die «Wild Cards» schliesslich, die Dellbrügge
& de Moll mit Hilfe von zehn Wissenschaftern und zehn
Künstlern gefertigt haben, sollen einen Blick in
die Zukunft gestatten: ein überdimensioniertes Kartenspiel,
das zur Kombinatorik des Zufalls einlädt, aber -
und nicht nur der unhandlichen Mechanik wegen - einen
eng begrenzten Unterhaltungswert besitzt.
Alles in allem also Dialoge zwischen Kunst
und Wissenschaft mit offenem Ausgang, bisweilen auch mit
vagem Ein- und Zugang. Das über der Ausstellung schwebende
Zitat von Niklas Luhmann handelt von dem «eigentümlichen
Weltstimmungsgehalt», den wissenschaftliche Theorien
besitzen mögen, den sie selbst aber nicht formulieren,
womöglich nicht einmal wahrnehmen können. «Vielleicht»,
schreibt Luhmann, «sollte es für anspruchsvolle
Theorieleistungen eine Art Parallelpoesie geben, die alles
noch einmal anders sagt.» - Vielleicht.
Uwe Justus Wenzel
Bis 9. März (ab 12. April in Karlsruhe,
ZKM). Erschienen sind ein lesenswertes Begleitbuch im
Berliner Jovis-Verlag sowie ein Katalog.